von Andrea Schwarz
Es war spät, als ich von dem Abendtermin nach Hause kam, einem Vortrag in einem kleinen Ort, ca. 100 Kilometer entfernt. Es hatte eigentlich alles ganz gut geklappt, nur die Heimfahrt war anstrengend gewesen, fast auf der gesamten Strecke hatte es geregnet. Ich war froh, als ich das Auto in die Garage stellen konnte.
Im Haus war schon alles dunkel. Kein Wunder, die anderen Mieter müssen morgens alle früh raus – und um die Uhrzeit arbeitet kein noch so engagierter Arbeitskreis mehr, der sich eventuell im Pfarrhaus treffen könnte.
In meiner Wohnung war es kalt, ich hatte vergessen, die Heizung aufzudrehen. Ein Blick auf den Anrufbeantworter – keine Nachricht. Ich zündete eine Kerze an, holte mir in der Küche ein Bier und schaltete den Computer an. Eigentlich müsste ich noch die Ausschreibung für den Wochenendkurs fertig machen.
Und dann sitze ich vor dem leeren Bildschirm – und mir fällt nichts ein. Ich fange einen Satz an – und lösche ihn wieder. Ein Blick auf die Uhr – ob man wohl noch jemanden anrufen kann? Aber um die Uhrzeit wäre es nur eine Zumutung und würde mir wahrscheinlich eher Ärger einbringen als ein gemütliches Gespräch.
Für’s Bett bin ich noch zu aufgedreht, und doch ist da irgendwie eine Müdigkeit in mir.
Gedanken und Bilder des heutigen Tages ziehen an mir vorbei, halbherzig werfe ich einen Blick in den Terminkalender, was für die nächsten Tage ansteht, stehe auf, um nach Unterlagen zu suchen, finde dabei ein Buch, das der Verlag heute mit der Post geschickt hat. Ich blättere ein wenig darin, lege es wieder an die Seite,…
In einem plötzlichen Entschluss schalte ich das Radio aus, fahre den Computer hinunter, knipse die kleine Schreibtischlampe aus – und stelle mich im Dunkeln ans Fenster. Nur das kleine Licht der Kerze verbreitet noch ein wenig Helligkeit.
Auf der Straße ist alles ruhig, niemand ist mehr unterwegs, kein Auto fährt vorbei.
Und mit einem Mal höre ich die Stille. Nur eine Uhr tickt leise vor sich hin.
Und diese Stille umfängt mich, legt sich wie ein liebevoller Mantel um mich, hüllt mich ein, birgt mich. Und ich gebe mich in die Stille hinein – und werde still. Die Eindrücke des Tages verblassen, die Gedanken werden weniger schnell, ich stehe einfach da und schaue – und kann die Stille hören.
Unwillkürlich geht mein Blick zum Himmel hoch – weg aus der Enge der Straße. Und da leuchtet plötzlich ein Stern, und dort drüben steht die schmale Sichel des jungen Mondes. Stille erfüllt mich, Gelassenheit, es weitet sich in mir, der Atem geht ruhiger.
Und da sind sie plötzlich, die uralten Worte:“ Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir.“ (Psalm 131)
Es ist Mitternacht. Drüben an der Kirche geht die Außenbeleuchtung aus. Die Uhr im Wohnzimmer schlägt.
Ich habe meinen Frieden mit diesem Tag geschlossen. Ich fühle mich aufgehoben und geborgen.
Jetzt kann ich schlafen gehen.
© Andrea Schwarz